Faire Vermittlung von Digitalisierungswissen

Die Digitalisierung hat Einfluss auf alle Bereiche unseres Lebens – ganz besonders auf die Berufswelt von heute und von morgen. Für die Gestaltung dieser digitalen Zukunft ist es entscheidend, alle Teilnehmenden einer Gesellschaft darin zu bestärken, an der Entwicklung und Gestaltung der Digitalisierung teilzunehmen. Denn die Digitalisierung ist ein soziokultureller Prozess, der uns alle betrifft. Deshalb ist es wichtig, die vielen Facetten der Digitalisierung in der Lehre aufzuzeigen. Technikkompetenz besteht aus weit mehr als Programmierung oder Techniknutzung. Die unterschiedlichsten Disziplinen arbeiten bei der Gestaltung der Digitalisierung eng zusammen und jede einzelne leistet einen wertvollen Beitrag.
Unter Gestaltungskompetenz verstehen wir im Rahmen von Fix-IT auch stets Genderkompetenz. Denn gerade bei der Wissensvermittlung kommt es unbewussterweise zur Reproduktion von Stereotypen. Auch bei der Gestaltung von Artefakten spielen gesellschaftliche Machtverhältnisse eine wesentliche Rolle: Diese führen stets zum Ausschluss von Individuen und ganz besonders von Angehörigen marginalisierter Gruppen. Diese Ausschlüsse spiegeln sich letztlich in der Qualität und Brauchbarkeit von Produkten wider. Dafür lassen sich zahlreiche Belege finden: Frauen werden keine informatischen und/oder hochbezahlten Berufe bei der Online-Jobsuche angezeigt und viele Medikamente sind für Frauen zu hoch dosiert, da sie meistens dem zugrundeliegenden 1,80 Meter großen und 70 Kilogramm schweren Normmenschen nicht entsprechen.¹ Fotosoftware bittet Menschen mit kleinen Augenausschnitten, die Augen beim Fotografieren zu öffnen und digitale Konferenz-Software filtert die Köpfe von Schwarzen Menschen zusammen mit dem Hintergrund heraus.
Gerade in informationstechnischen Berufen arbeiten zumeist weiße, hochgebildete Männer im mittleren Alter.² Daten, die in eine Software eingelesen werden und auf deren Werten diese Software dann basiert, sind nicht zufällig – sie werden von Menschen erstellt und ausgewählt.
Wenn diese Datensätze nicht divers sind, werden (marginalisierte) Menschengruppen durch diese Datensätze nicht erfasst und entweder als Abweichung von der Norm angesehen und dann mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht oder übersehen, wie es anhand des Beispiels von für Frauen überdosierten Medikamenten deutlich wird. Der Algorithmus macht also keine Fehler, wenn Frauen hochbezahlte Jobs in der IT-Branche nicht angezeigt werden. Der Datensatz, auf dem die Auswahl beruht, wurde schlichtweg nicht mit den notwendigen Informationen ausgestattet, um solche Selektionen zu vermeiden.
Die mangelhafte Qualität von Produkten wird in ganz unterschiedlichen Kontexten deutlich – und das kann weitreichende Konsequenzen haben, ja sogar Menschen das Leben kosten, wenn beispielsweise ein Test zur Vorhersagbarkeit von Brustkrebs für Schwarze Frauen nicht dieselben genauen Vorhersagen macht wie für weiße Frauen.
Im Kontext von Fix-IT ist uns aufgefallen, dass gerade Schulen und Schüler*labore Orte von unbewusster Stereotypenreproduktion sein können. Das macht sie zu wichtigen Orten, an denen Einfluss auf den Abbau von Stereotypen genommen werden kann. So haben wir selten Angebote gefunden, die sich an Mädchen/Frauen auf fortgeschrittenem (Ausbildungs-)Niveau richten. Darüber hinaus sind Angebote für Schülerinnen meist „pinkifiziert“: Hier sollen Wearables programmiert oder Themen behandelt werden, die das eigene Aussehen betreffen. Wenn Schülerinnen Roboter bauen sollen, wird meist mit Tieren geworben oder mit tanzenden Robotern.
Wir möchten im Rahmen von Fix-IT damit beginnen, stereotypenfreien Unterricht und geschlechtergerechte Workshops zu gestalten. Da bei Fix-IT in interdisziplinären Teams gearbeitet wird, werden auch hier unterschiedliche Fachperspektiven berücksichtigt.
Die Fix-IT-Workshops richten sich an Personen, die Informatik unterrichten, und an Anbietende von Schüler*laboren. Fix-IT will Lehre verändern und so dazu beitragen, dass die zukünftigen Nutzenden der Digitalisierung empowert werden, diese mitzugestalten. Um das stereotypenfrei zu ermöglichen, geht es insbesondere um die Reflexion der eigenen Gedanken und der eigenen Bilder im Kopf. Diese sind bei den meisten Menschen unbewusst und erlernt und beruhen damit auf den Werten, die die Gesellschaft, in der wir leben, uns mitgegeben hat. Sich diese eigenen (oft unbewussten) Einstellungen bewusst zu machen und diese kritisch zu hinterfragen – und vielleicht sogar zu verändern – ist für uns der entscheidende Punkt, um (zielgruppengerichtete) Förderung stereotypenfrei gestalten zu können. Ziel der Workshops ist es, junge Menschen zur Mitgestaltung der Digitalisierung zu empowern und eine Teilhabe für alle zu ermöglichen. Dazu gehört es auch, junge Menschen für Digitalisierungsthemen zu begeistern.
Durch unsere Arbeit haben wir gelernt, dass es vielen Lehrenden und Anbietenden von Schüler*laboren besonders darauf ankommt, „Mädchen“ zu fördern. Wir von Fix-IT mahnen an, dass „Mädchen“ keine homogene Gruppe sind. Unterschiedliche Mädchen haben unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten – sie hier unter einem Wort zusammenzufassen und dabei unbewusst alle anderen Einflüsse der Sozialisation (wie Ethnizität, Bildungsstand, sozioökonomischen Status, Fähigkeiten, Religionszugehörigkeit, Statur etc.) auszublenden, ist nicht zielführend. Stattdessen möchten wir dazu auffordern, Zielgruppen immer genau zu benennen.
Sollen weiblich gelesene Personen, die zur Schule gehen, die Angebote wahrnehmen? Dann macht es Sinn, von Schülerinnen zu sprechen und diese am besten noch in konkrete Klassenstufen zu teilen. Hier ein Beispiel: „Unser Angebot richtet sich an Schülerinnen ab der neunten Klasse“. Anstatt davon zu schreiben, jemanden begeistern zu wollen, kann schlicht die Expertise benannt werden, die im jeweiligen Kurs vermittelt wird: „Wir bieten einen Workshop in Programmierung von Java auf Einstiegsniveau für Schülerinnen ab der elften Klassenstufe an.“
Wir schlagen vor, stets auf die Inhalte zu fokussieren. Es soll dabei jedoch nicht nur thematisiert werden, was in den jeweiligen Lerneinheiten vermittelt wird, sondern auch, wie und wo das erworbene Wissen in Zukunft angewendet werden kann. Ein Beispiel: „Java ist eine vielseitige Programmiersprache und kann deswegen in den unterschiedlichsten Kontexten verwendet werden. Wer Java gelernt hat, kann sich andere objektorientierte Programmiersprachen wie Python leicht aneignen.“ So wird ermöglicht, dass die Zielgruppe nicht anhand von Stereotypenreproduktion ausgewählt wird, sondern sich anhand des gemeinsamen Interesses an einem Thema zusammenschließt.
Die hier bereitgestellten Übungen sind so angelegt, dass sie sowohl zum Selbststudium genutzt als auch mit anderen durchgeführt werden können. Nehmen Sie sich gerne einen Zettel und einen Stift und bearbeiten Sie die Übungen während des Lesens. Die Auflösung finden sie am Schluss der jeweiligen Übung. In der Einleitung der jeweiligen Übung erklären wir einzelne Punkte, die dem Verständnis dienen.
Wir haben bewusst versucht, den persönlichen Charakter eines Workshops aufrecht zu erhalten. Wir hoffen, dass dies dazu beiträgt, Sie zu einem Austausch einzuladen.
Wir schreiben hier weitestgehend aus der Fix-IT-Perspektive, um unsere Positionierung innerhalb des Feldes, über das wir sprechen, nicht zu verschleiern.
Zudem finden Sie in den Einschüben Hintergrundinformationen zu den Workshops, durch die deutlich gemacht werden soll, auf welches Wissen Fix-IT aufbaut und mit welchem Mindset die Workshops von Fix-IT gestaltet wurden. Die Hintergründe, auf denen unsere Arbeit basiert, werden hier näher erläutert und bieten wichtige Hinweise für Ihre eigene Reflexion. In der Arbeit mit Lehrenden und Schüler*laboranbietenden war es uns stets wichtig, besonders auf diese „größeren Zusammenhänge“ in der konkreten Arbeit im Workshop zu verweisen. Da wir uns leider nicht persönlich kennenlernen und somit nicht ins Gespräch kommen können, sollen diese Einschübe unsere Gespräche ersetzen und als Ergänzung dienen.
Zudem werden zwei Werkzeuge („Wissensskala“, „Gepäck“) beschrieben, die im Rahmen der Fix-IT-Workshops viele Male zum Einsatz kamen. Ein Werkzeug ist keine Übung – es beansprucht weniger Zeit und ist dafür bestimmt, fortlaufend eingesetzt und stetig ergänzt zu werden. Dies kann gerne innerhalb der einzelnen Übungen geschehen, falls es dort zu Diskussionen über „Wissen zum Thema Geschlecht“ kommt. Erweitern Sie das Werkzeug gerne für jede Art von „Wissen“und „Gepäck“!
Viel Spaß beim Lesen, aber vor allem beim Ausprobieren unserer Workshopübungen!

¹Vgl. Caroline Criado Perez in ihrem Buch Invisible Woman: Exposing Data Bias in an World designed for Men.
²Vgl. ebenda